Schöne Kurzgeschichten

Astroschmid.ch Logo Peter Schmid
Kaum etwas anderes kann uns so sehr inspirieren wie Geschichten.
Hier eine Auswahl kleiner Perlen.

Schaukelpferd und Plüschhase

von Margery Williams

Das Schaukelpferd sagt zum Plüschhasen: „Bevor du Leben in dir hast, musst du wirklich werden.“

„Was heißt wirklich?“ fragte das Plüschkaninchen, „heißt es, dass du so ein Brummen im Bauch hast und eine Kurbel zum aufziehen aus dir rausguckt?“

„Wirklich ist nicht so wie du gemacht bist“, sagte das Schaukelpferd, „sondern etwas, das mit dir passiert. Wenn ein Kind dich lange Zeit liebt, wenn du nicht nur zum spielen da bist, sondern wenn es dich tatsächlich liebt, dann wirst du wirklich.“

„Tut das weh?“ fragte das Kaninchen.

„Manchmal ja“, sagte das Schaukelpferd, denn es sagte immer die Wahrheit. „Aber wenn du wirklich bist, dann macht es dir nichts aus, dass es weh tut.“

„Passiert es auf einmal, so wie wenn man aufgezogen wird“, fragte es, „oder immer nur ein bisschen?“

„Es passiert nicht auf einmal“, sagte das Schaukelpferd, „wirklich wirst du nur langsam, es dauert ziemlich lange. Deshalb passiert es nicht oft Leuten, die leicht kaputtgehen oder die scharfe Kanten haben oder die man sorgsam aufheben muss. Im allgemeinen ist zu der Zeit, wenn du wirklich geworden bist, das meiste von deinem Fell schon weggeliebt, die Augen fallen dir raus, deine Gelenke sind lose und du bist schon ein bisschen schäbig. Aber all das ist unwichtig, denn wenn du erst einmal wirklich bist, kannst du nicht mehr hässlich sein, außer für Menschen, die nichts  kapieren…
Wenn du erst einmal wirklich bist, kannst du nicht mehr unwirklich werden. Es ist für immer.“

Das Wunder

Tess war eine zauberhafte Achtjährige als sie ihre Mutter und Vater über ihren kleinen Bruder Andrew sprechen hörte.
Alles was sie wusste war, dass er sehr krank war und dass sie überhaupt kein Geld mehr besaßen. Nächsten Monat sollten sie in eine Etagenwohnung ziehen, denn Daddy hatte nicht das Geld für die Arztrechnungen und das Haus. Nur eine sehr teure Operation könnte ihn noch retten, und es schien niemanden zu geben, der ihnen das Geld leihen würde.
Sie hörte, wie ihr Daddy ihrer tränenüberströmten Mutter mit hoffnungsloser Stimme sagte: ´Nur ein Wunder kann ihn noch retten.´

Tess ging in ihr Zimmer und zog ein gläsernes Marmeladenglas aus dem Versteck im Wandschrank. Sie schüttete all das Kleingeld auf den Fußboden und zählte es sorgfältig – gleich drei Mal. Die gesamte Summe musste genau die richtige sein. Irrtum war vollkommen ausgeschlossen.

Sorgfältig steckte sie die Münzen zurück in das Glas, drehte den Deckel darauf und schlüpfte aus der Hintertür hinaus. Sie ging an sechs Häuserblöcken entlang bis zu Rexall´s Drug Store mit dem großen roten Indianerhäuptling auf dem Schild oberhalb der Tür. Sie ging zur Abteilung mit dem Apotheker im hinteren Teil des Ladens.

Geduldig  wartete sie, dass er  sie bemerkte, aber er hatte gerade zu viel zu tun. Tess machte mit ihren Füßen ein quietschendes Geräusch. Nichts. Sie räusperte sich und versuchte dabei möglichst ekelerregend zu klingen. Nichts tat sich. Endlich nahm sie ein Geldstück aus ihrem Glas und knallte es auf den Glastresen. Das war erfolgreich! ´Und war möchtest du?´ fragte der Apotheker in gelangweiltem Ton. ´Ich unterhalte

mich gerade mit meinem Bruder aus Chicago, den ich schon ewig nicht mehr gesehen habe´, sagte er ohne eine Antwort auf seine Frage abzuwarten.

´Nun, ich möchte mit Ihnen über meinen Bruder reden´, gab Tess in dem selben gelangweilten Ton zurück. ´Er ist wirklich sehr, sehr krank …. und ich möchte ein Wunder kaufen´. ´Wie bitte?´, sagte der Apotheker. ´Er heißt Andrew und in seinem Kopf wächst etwas Böses, und mein Vater sagt, nur ein Wunder kann ihn noch retten. Was kostet also ein Wunder?´ ´Wir verkaufen hier keine Wunder, kleines Mädchen. Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen´, sagte der Apotheker mit etwas freundlicherer Stimme. ´Hören Sie, ich habe Geld, um es zu bezahlen. Und wenn es nicht genug ist, werde ich den Rest noch holen. Sagen sie mir nur, wie viel es kostet.´

Der Bruder des Apothekers war ein gut angezogener Mann. Er beugte sich runter und fragte das kleine Mädchen: ´Was für ein Wunder braucht dein Bruder denn?´ ´Ich weiß nicht´, antwortete Tess und ihre Augen füllten sich mit Tränen. ´Ich weiß nur, dass er wirklich sehr krank ist und Mommy sagt, er brauche eine Operation. Aber mein Daddy kann sie nicht bezahlen, also möchte ich mein Geld dafür nehmen.´ Wie viel hast du?´, fragte der Mann aus Chicago. ´Einen Doller und elf Cents´, antwortete Tess kaum hörbar. ´Und das ist alles Geld, was ich habe, aber ich kann mehr holen, wenn ich es muss.´

Nun, was für ein Zufall´, lächelte der Mann. ´Ein Dollar und elf Cents – genau der Preis für ein Wunder für kleine Brüder.´ Er nahm ihr Geld in eine Hand und mit der anderen Hand ergriff er die ihre und sagte: ´Zeige mir wo du wohnst. Ich möchte Deinen Bruder sehen und deine Eltern treffen. Wir wollen mal sehen, ob ich das Wunder habe, das du brauchst.´

Diese gutangezogene Mann war Dr. Carlton Armstrong, ein Chirurg, spezialisiert auf Neuro-Chirurgie. Die Operation wurde kostenlos durchgeführt, und es dauerte nicht lange, da war Andrew wieder zu Hause und es ging ihm gut.
Mom und Dad erzählten glücklich von den  Ereignissen, die sich so gut gefügt hatten. ´Diese Operation´, flüsterte ihre Mom, ´sie war ein wirkliches Wunder. Ich würde gern wissen, was sie wohl gekostet hat.´

Tess lächelte. Sie wusste genau, wie viel ein Wunder kostet … ein Dollar und elf Cents … und der Glaube eines kleinen Kindes.

Ein Wunder ist nicht die Aufhebung eines Naturgesetzes, sondern die Umsetzung eines höheren Gesetzes …

Übersetzung von Claudia Christine www.gesprächemitgott.de

Himmel oder Hölle

Ein mächtiger Samurai beschloss, eine spirituelle Bildung zu vertiefen. So machte er sich auf, einen berühmten buddhistischen Mönch zu suchen, der als Einsiedler hoch in den Bergen lebte.

Als er ihn gefunden hatte, forderte er: „Lehre mich, was Himmel und Hölle sind!“

Der alte Mönch sah langsam zu dem Samurai auf, der über ihn stand, und musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Dich lehren?“ kicherte er. „Du musst sehr dumm sein, wenn du denkst, ich könnte einen wie dich etwas lehren. Schau dich an, du bist unrasiert, du stinkst, und die Schwert ist wahrscheinlich verrostet.“

Der Samurai geriet in Wut. Sein Gesicht wurde rot vor Zorn, als er sein Schwert zog, um dem lächerlichen Mönch, der da vor ihm saß, den Kopf abzuschlagen.

„Das“, sagte der Mönch ruhig, „ist die Hölle.“

Der Samurai ließ sein Schwert fallen. Erst überkam ihn Reue, dann tiefe Zuneigung zu dem alten Mann.

Das dieser Mönch sein Leben riskiert hatte, um einen völlig Fremden etwas zu lehren, erfüllte sein Herz mit Liebe und Mitgefühl. Tränen stiegen in seine Augen.

„Und das“, sagte der Mönch, „ist der Himmel.“

Für diese Geschichte kenne ich leider die Quelle nicht.

Mittagessen mit Gott

Es war einmal ein kleiner Junge, der unbedingt Gott treffen wollte. Er was sich darüber bewusst, dass der Weg zu dem Ort, an dem Gott lebte, ein sehr langer war. Also packte er sich einen Rucksack voll mit einigen Coladosen und mehreren Schokoladenriegeln und machte sich auf die Reise.

Er lief eine ganze Weile und kam in einen Park. Dort sah er eine alte Frau, die auf einer Bank saß und den Tauben zuschaute, die vor ihr nach Futter auf dem Boden suchten. Der kleine Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und öffnete seinen Rucksack. Er wollte sich gerade eine Cola herausholen, als er den hungrigen Blick der alten Frau sah. Also griff er zu einem Schokoriegel und reicht in der Frau.

Dankbar nahm sie die Süßigkeit und lächelte ihn an. Und es war ein wundervolles Lächeln! Der kleine Junge wollte dieses Lächeln noch einmal sehen und bot ihr auch eine Cola an. Und sie nahm die Cola und lächelte wieder – noch strahlender als zuvor. Der kleine Junge war selig.

Die beiden saßen den ganzen Nachmittag lang auf der Bank im Park, aßen Schokoriegel und tranken Cola – aber sprachen kein Wort.

Als es dunkel wurde, spürte der Junge, wie müde er war und er beschloss, zurück nach Hause zu gehen. Nach eineigen Schritten hielt er inne und drehte sich um. Er ging zurück zu der Frau und umarmte sie.

Die alte Frau schenkte ihm dafür ihr allerschönstes Lächeln.

Zu Hause sah seine Mutter die Freude auf seinem Gesicht und fragte: „Was hast du denn heute Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?“

Und der kleine Junge antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und sie hat ein wundevolles Lächeln!“

Auch die alte Frau war nach Hause gegangen, wo ihr Sohn schon auf sie wartete. Auch er fragte sie warum sie so fröhlich aussieht.

Und sie antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und er ist viel jünger, als ich gedacht habe.“

Verfasser/In leider unbekannt (wurde mir zugesandt)

Der Fischer

von Heinrich Böll

In einem Hafen an der westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und träumt. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See, schwarzes Boot, rote Fischermütze. Klick. Noch einmal: klick. Das Geräusch weckt den träumenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt, aber bevor er sie gefunden hat, hält ihm schon der neugierige Tourist eine Schachtel vor die Nase.

„Sie werden heute einen guten Fang machen.“

Kopfschütteln des Fischers.

„Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist.“

Kopfnicken des Fischers.

„Sie werden also nicht ausfahren?“

Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen.

„Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?“

Endlich beginnt der Fischer zu sprechen: „Ich fühle mich großartig“, sagt er. „Ich habe mich nie besser gefühlt.“ Er steht auf, reckt sich, als wollte er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich fantastisch.“

Der Gesichtausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken.

„Aber warum fahren Sie dann nicht aus?“

Die Antwort kommt schnell und kurz: „Weil ich heute morgen schon ausgefahren bin!“

„War der Fang gut?“

„Er war so gut, daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen … .“

Der Fischer, endlich erwacht, klopft dem Touristen beruhigend auf die Schultern. „Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug“, sagt er.

„Rauchen Sie eine von meinen Zigaretten?“

„Ja, danke.“

„Ich will mich ja nicht um Ihre persönlichen Angelegenheiten kümmern“, sagt der Tourist, „aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Sie würden drei, vier, fünf vielleicht sogar zehn Dutzend Makrelen fangen … .“

Der Fischer schüttelte den Kopf.

„Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten und dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen, eines Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden …“, er begeisterte sich so sehr, dass er kaum weitersprechen kann. „Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, später eine Konservenfabrik, mit einem Hubschrauber rundfliegen, den Weg der Fischschwärme von oben erkennen und es Ihren Kuttern per Funk mitteilen! Sie könnten ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer direkt nach Paris exportieren und dann …“, wieder kann er kaum weitersprechen, kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, blickt er auf das Meer, in dem die ungefangenen Fische munter springen. „Und dann“, sagte er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.

Der Fischer klopft ihm beruhigend auf den Rücken. „Was dann?“, fragt er leise.

„Dann“, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, „dann könnten Sie ruhig hier im Hafen sitzen, in der Sonne liegen und auf das herrliche Meer blicken.“

„Aber das tu ich ja jetzt“, sagt der Fischer, „ich sitze beruhigt am Hafen und träume, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“

Tatsächlich ging der Tourist nachdenklich fort. Früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb kein Rest von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, – nur ein wenig Neid.

Der Blitz

Ein Bischof stand an einem gewittrigen Tag in seiner Kathedrale. Da kam eine Heidin trat vor ihn und sprach: „Ich bin keine Christin. Gibt es für mich eine Rettung vor dem Feuer der Hölle?“

Der Bischof sah die Frau an und antwortete: „Nein, Rettung gibt es nur für die, welche getauft sind.“ Im Augenblick, da er dies sprach, fuhr ein Blitzstrahl vom Himmel hernieder, gefolgt von einem fürchterlichen Donner, schlug in die Kathedrale ein und entfachte eine Feuersbrunst.

Die Menschen aus der Stadt kamen gelaufen und retten die Frau; doch den Bischoff verzehrten die Flammen.

von Khalin Gibran



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